Sohier Concept
Was ist das Sohier-Konzept?
Sohier ist ein Analyse- und Behandlungskonzept mit dem sich das biologische Gleichgewicht des menschlichen Bewegungssystems wiederherstellen und normalisieren lässt. Es basiert auf biomechanischen Analysen und stützt sich auf bildgebende Verfahren ab. Dadurch ermöglicht es eine umfassende Diagnostik und Clinical Reasoning. Befund und Behandlung werden vom Verständnis der Pathomechanik des Bewegungssystems als Ganzes gesteuert. Dadurch können die Behandlungstechniken präziser und subtiler ausgeführt werden und so unnötige vegetative Reaktionen vermieden werden. Die Wirksamkeit der ausgeführten Massnahmen kann dank der systematischen Untersuchungstechniken jederzeit überprüft und Anpassungen können daraus abgeleitet werden.
Welches Ziel verfolgt man mit den Sohier- Techniken
Sohiers Konzept basiert auf dem Grundgedanken, dass ein Gelenk nur dann wirkungsvoll behandelt werden kann, wenn das geschädigte oder erkrankte Gewebe wieder in ein biologisches Gleichgewicht gebracht werden kann. Da die Auslöser der Gelenkserkrankungen weitgehend mechanischer Natur sind, ist das primäre Ziel der Interventionen das biomechanische Gleichgewicht wieder herzustellen. Die Behandlungstechniken nach Sohier heissen Reharmonisationen. Damit wird das aus der Balance geratenen Bewegungssystems zurück in eine mechanische und darauf aufbauend, auch eine biologische Balance gebracht.
In welchen Bereichen kommen die Sohier-Techniken zur Anwendung?
Sohier ist ein herausragendes Konzept, wenn es um die Prävention geht. Ein leicht aus der Balance geratenes Bewegungssystem lässt sich mit den Sohier-Techniken reharmonisieren. Viele Patienten und Patientinnen, welche mit Sohier Techniken behandelt werden brauchen weniger oft oder erst Jahre später als geplant einen Gelenkersatz.
Bei grösseren Abweichungen kann eine Umkehr zu Gelenk schonenden und Bewegungsabläufen erfolgen.
Im Sport sind Sohier Techniken machchentscheidend. Erst ein zentriertes Gelenk kann die Belastungen der einwirkenden Kräfte bei forcierten Bewegungsabläufen und gesteigerten Muskelaufbaus harmonisch die auf die jeweiligen Gewebe übertragen. Auch das Konzept der Kräftigungen, welche das Gelenk zusätzlich zentrieren ist diesem Konzept spezifisch.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Sohier Konzept in folgenden Bereichen erfolgreich zur Anwendung kommt:
In der Rehabilitation bei Orthopädie, Rheumatologie, Neurologie, Pädiatrie
In der Prävention als Arthrose Prophylaxe durch Harmonisierung der Bewegungssystems
Im Sport mit zentrierender Kraftaufbau Leistungssteigerung durch die Ökonomisierung der Bewegungsabläufe
Welche Beschwerden kann man mit Sohier Techniken erfolgreich behandeln?
Funktionell, haltungsbedingt, traumatisch, ja sogar mikrotraumatisch verursachte Veränderungen des Bewegungssystems lassen sich mit den Sohier Techniken erfolgreich behandeln. Darunter finden sich folgende Diagnosen:
Arthrosen
Tendopathien
Teno-Synovitis
Arthritis, Periarthritis und Osteochondritis
artikuläre und periartikuläre Traumata (Verrenkungen, Gelenkbrüche, Sehnenrisse)
Skoliose
Varus oder Valgus des Knies
Diese können sich durch folgende Symptome äussern:
Kopfschmerzen
Nackenbeschwerden
Schulter-Nackenschmerzen
Tennis-/Golfer Ellbogenschmerzen
Überlastungs- Symptome der Hand
Fehlstellungen/-Haltungsbeschwerden
Wirbelsäulenbeschwerden
Brustkorbbeschwerden
Hüftschmerzen/Leistenschmerzen
Knieschmerzen/ Runner knee
Fussschmerzen /Fersensporn/Achillessehnenbeschwerden
etc.
Bezug zur Wissenschaft
Es gibt dato zwei Studien, welche das ABS Konzept direkt untersucht haben.1987 wurde gezeigt, dass die Wiederherstellung einer korrekten dynamischen Zentrierung des Oberarmkopfes die Kraftleistung verbessert (Haye, 1987). Die 2021 von Lutz et al. publizierte Studie hat die Reliabilität und Validität von 10 Sohier Testungen untersucht. Diese wurden mit dem Goldstandard des SPECT-CT verglichen. Es wurde sowohl die Intertester Reliabilität, als auch die Validität der Sohier Tests überprüft, d.h. die Möglichkeit mit der Analyse der Testungen den Impact im Kniegelenk zu bestimmen. Die Inspektion des Valgus/Varus hat sich dabei als sehr valide ergeben.
Die für das Sohier Konzept wichtige Grundlagenforschung liegt zurzeit im Gebiete der Mechanotransduktion. Die Forschungen untersuchen wie die in Chondrozyten lokalisierten Sensoren und Rezeptoren die Transformation der physikalischen Stimulation in eine biochemische Signale in Form von metabolischen Veränderungen, entzündlichen Prozessen und Proteinphosphrylisation assistieren, d.h. wie die zelluläre Antwort auf mechanischen Stress die zelluläre Membran passiert. Eine Studie von Zhao et al kommt 2019 zum Schluss, dass Chondrozyten mechanosensitiv sind und spezifische Stimulation zur Regulation der optimalen Funktion brauchen. Somit wird die von verschiedensten Autoren beobachtete Bedeutung der Biomechanik für die Entstehung, wie auch für den Verlauf einer Gelenksarthrose erhärtet. (Felson 2013; Chang et al.,2015, Chehab et al., 2014, Sharma et al.,2013, Miyziaki et al.,2002). Diese Erkenntnisse hat Sohier 1995 in „La dynamique du vivant“ und 1996 in seinem Werk „Biologie mécanogène“ festgehalten.
Obwohl Raymond Sohier sich bereits 1945 mit der Bedeutung der Biomechanik für den Verlauf von Gelenksarthrosen zu beschäftigen begann und in der Folge ein präventives Diagnose- und Behandlungskonzept auf seinen Überlegungen aufgebaut hat, hat er sich nie in der modernen Studienwelt engagiert. Dafür hat er seine Erkenntnisse in zahlreichen Büchern publiziert (Sohier, 2001, 2000, 1999, 1996, 1995, 1989, 1978, 1974, 1960).
Aus diesem Grunde stützen sich viele der wissenschaftlichen Überlegungen der Sohier Spezialistinnen und Spezialisten auf Studien mit gleichwertigen Fragestellungen. Wie zum Beispiel bei generellen Fragen wie von Huwett & Bates and Huxel Bliven, & Anderson, welche biomechanische Faktoren durch therapeutische Interventionen als beeinflussbar erachtet werden können (Huwett &Bates, 2017; Huxel Bliven & Anderson, 2013).
Oder spezifischer bei der Frage wieso die Anteposition der Hüfte, welche eine Translation des Femurkopfs nach ventral darstellt, die Innenrotation eingeschränkt wird (Kapron 2015, Shull 2013, Barrios 2009). Sohier nutzt diese Erkenntisse sowohl für die Gestaltung des Testes der Anteposition der Hüfte, als auch für den Behandlungsansatz.
Ebenso kann die von Seel eingeführte Standardisierung der Ausgangstellung bei Inspektionen (Zuckerman&Lutz 2020) durch Forschungen verschiedener Autoren wie Krewer 2018, Azzi 2017, Chiari 2002, Uimonen 1992 oder die Messung des Varus /Valgus am Kniegelenk bei Sigwart 2016, Parker 2009 in einen wissenschaftlichen Kontext gestellt werden.
Referenzen
Azzi, N. M., Coelho, D. B., & Teixeira, L. A. (2017). Automatic postural responses are generated according to feet orientation and perturbation magnitude. Gait & posture, 57, 172-176.
Barrios JA, Crossley KM, Davis IS. Gait retraining to reduce the knee adduction moment through real-time visual feedback of dynamic knee alignment. J Biomech. 2010;43:2208–13.
Chang, A. H., Moisio, K. C., Chmiel, J. S., Eckstein, F., Guermazi, A., Prasad, P. V., Zhang, Y., Almagor, O., Belisle, L., Hayes, K., & Sharma, L. (2015). External knee adduction and flexion moments during gait and medial tibiofemoral disease progression in knee osteoarthritis. Osteoarthritis and Cartilage, 23(7), 1099–1106. https://doi.org/10.1016/j.joca.2015.02.005
Chehab, E. F., Favre, J., Erhart-Hledik, J. C., & Andriacchi, T. P. (2014). Baseline knee adduction and flexion moments during walking are both associated with 5year cartilage changes in patients with medial knee osteoarthritis. Osteoarthritis and Cartilage, 22(11), 1833–1839. https://doi.org/10.1016/j.joca.2014.08.009
Chiari, L., Rocchi, L., & Cappello, A. (2002). Stabilometric parameters are affected by anthropometry and foot placement. Clinical biomechanics, 17(9-10), 666-677.
Felson. (2013). Osteoarthritis as a disease of mechanics. Osteoarthritis and Cartilage, 21(1), 10–15. https://doi.org/10.1016/j.joca.2012.09.012
Haye. M. (1987) Effets immédiats d’une technique de recentrage articulaire sur l’épaule du joueur de hand-ball. Mémoire U.L.B. Bruxelles
Hewett, T. E., & Bates, N. A. (2017). Preventive biomechanics: a paradigm shift with a translational approach to injury prevention. The American journal of sports medicine, 45(11), 2654-2664.
Huxel Bliven, K. C., & Anderson, B. E. (2013). Core stability training for injury prevention. SportHelath 5(6), 514-522. https://doi.org/10.1177/1941738113481200
Kapron AL, Aoki SK, Peters CL, Anderson AE. In-vivo hip arthrokinematics during supine clinical exams: Application to the study of femoroacetabular impingement. J Biomech. 2015;48:2879–86.
Krewer, C., Bergmann, J., Gräfrath, P. C., & Jahn, K. (2018). Influence of foot position on static and dynamic standing balance in healthy young adults. Hearing, Balance and Communication, 16(4), 208-214.
Lutz, N., Zuckerman, S., Seel, F., Ott-Senn, Y., Rogan, S., & Rasch, H. (2021). A clinical test examination procedure to identify knee compartment overloading: a reliability and validity study using SPECT-CT as reference. Journal of Bodywork and Movement Therapies, 27, 500-506.
Miyazaki, T., Wada, M., Kawahara, H., Sato, M., Baba, H., & Shimada, S. (2002). Dynamic load at baseline can predict radiographic disease progression in medial compartment knee osteoarthritis. Annals of the Rheumatic Diseases, 61(7), 617–622. https://doi.org/10.1136/ard.61.7.617
Sharma, L., Chmiel, J. S., Almagor, O., Felson, D., Guermazi, A., Roemer, F., Lewis, C. E., Segal, N., Cooke, T. D. V., & Hietpas, J. (2013). The role of varus and valgus alignment in the initial development of knee cartilage damage by MRI: the MOST study. Annals of the Rheumatic Diseases, 72(2). https://doi.org/10.1136/annrheumdis-2011-201070.The
Shull PB, Shultz R, Silder A, Dragoo JL, Besier TF, Cutkosky MR, et al. Toe-in gait reduces the first peak knee adduction moment in patients with medial compartment knee osteoarthritis. J Biomech [Internet]. Elsevier; 2013;46:122–8.
Sigward, S. M., Chan, M. S. M., & Lin, P. E. (2016). Characterizing knee loading asymmetry in individuals following anterior cruciate ligament reconstruction using inertial sensors. Gait & posture, 49, 114-119.
Sohier R. (2001) Kinésithérapie analytique de la gonarthrose. Ed. Kiné-Sciences La Louvière
Sohier R., Sohier J. (2000) Concept Sohier . Ed. Kiné-Sciences La Louvière 2000
Sohier R. (1999) Kinésithérapie analytique de la lombalgie. Ed. Kiné-Sciences La Louvière
Sohier R. (1996) Biologie mécanogène. Ed. Kiné-Sciences La Louvière
Sohier R. (1995) La dynamique du vivant. Ed. Kiné-Sciences La Louvière
Sohier R., Haye M. (1989) Deux marches pour la machine humaine. Ed. Kiné-Sciences La Louvière
Sohier R., Heureux P. (1978) La kinésithérapie du rachis scoliotique. Ed. Kiné-Sciences La Louvière
Sohier R. (1974) Kinésithérapie analytique de la hanche. Ed. Kiné-Sciences La Louvière 19
Sohier R. (1960) Kinésithérapie analytique de la colonne vertébrale T.1 . Ed. Kiné-Sciences La Louvière
Sohier R. (1960) Kinésithérapie analytique de la colonne vertébrale T.2 . Ed. Kiné-Sciences La Louvière 1960
Uimonen, S., Laitakari, K., Sorri, M., Bloigu, R., & Palva, A. (1992). Effect of positioning of the feet in posturography. Journal of vestibular research: equilibrium & orientation, 2(4), 349-356.
Zuckerman S., Lutz N.,(2020) Prozessevaluation einer Validierungsstudie von klinischen Tests - Erkenntnisse von Forschungsnovizen. Physioactive 8(28-32)
Zhao, Z., Li, Y., Wang, M., Zhao, S., Zhao, Z., & Fang, J. (2020). Mechanotransduction pathways in the regulation of cartilage chondrocyte homoeostasis. Journal of Cellular and Molecular Medicine, 24(10), 5408-5419. https://doi.org/10.1111/jcmm.15204